EMA-Datenbank zeigt keine bestätigten Impf-Nebenwirkungen (2024)

Seit Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus werden immer wieder die Zahlen aus einer Datenbank der Europäischen Medizinagentur (EMA) bemüht. Sie sollen als Beweis für vermeintliche Schäden dienen, die durch eine Impfung angeblich entstehen können.

Sie verbreiten sich als Sharepic, geteilt auf einschlägigen Telegram-Kanälen, als Nachricht auf rechtsalternativen Blogs oder vor einigen Monaten auch im österreichischen Nationalrat, vorgetragen vom FPÖ-Politiker Gerald Hauser. Auch den #Faktenfuchs haben Leser-Mails erreicht, in denen die EMA-Zahlen angeführt werden.

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Eudravigilance-Datenbank zeigt Verdachtsfälle, keine bestätigten Fälle von Nebenwirkungen

Die Zahlen stammen aus der Eudravigilance-Datenbank der EMA. Aufgelistet sind dort Verdachtsfälle von Nebenwirkungen von in der EU zugelassenen Arzneimitteln, unterteilt etwa in schwerwiegende und nicht-schwerwiegende Nebenwirkungen und aufgeschlüsselt nach Ländern.

Auch Verdachtsmeldungen von Todesfällen listet die EMA dort auf. Häufig werden diese von Impf-Skeptikern und Anti-Impf-Agitatoren als Beleg für angeblich hohe Todeszahlen infolge der Impfung angeführt.

Dabei handelt es sich bei den Eudravigilance-Zahlen um Verdachtsmeldungen, nicht um bestätigte Todesfälle, die auf die Impfung zurückzuführen sind. Diese Verdachtsmeldungen stammen von nationalen Behörden, wie dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Deutschland, sowie von pharmazeutischen Unternehmen.

Jede und jeder kann Nebenwirkungen melden

Es muss jedoch beachtet werden: An diese nationalen Stellen kann jede und jeder Nebenwirkungen in Zusammenhang mit der COVID-19-Impfung melden - in Deutschland etwa über eine gemeinsame Seite des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des PEI.

Im Rahmen eines Online-Vortrags Ende März sagte Peter Arlett, Leiter des Bereichs Datenanalyse und Methoden der EMA, dass etwa die Hälfte der Meldungen von "non-healthcare professionals" komme, die laut Arlett "mainly patients", also hauptsächlich Geimpfte sind.

Ein Verdachtsfall sei kein Beweis dafür, dass eine Reaktion tatsächlich aufgrund des Arzneimittels aufgetreten ist, schreibt ein Sprecher der EMA in einer Mail an den #Faktenfuchs. Der Sprecher beschreibt jede Meldung als ein Puzzle-Teil. Nur eine detaillierte wissenschaftliche Analyse der gesamten Daten könne zu belastbaren Erkenntnissen führen.

Die Daten werden seitens der EMA vom PRAC, dem Komitee für Pharmakovigilanz, ausgewertet. Das PRAC ist ein wissenschaftlicher Ausschuss der EMA.

EMA untersucht "Signale", die sie aus den Daten bekommt

Laut eines Papiers der EMA werden Hinweise auf Nebenwirkungen, die sich aus den Daten ergeben, als "Signal" gewertet. Diese Signale würden dann untersucht, etwa danach, wie wahrscheinlich es ist, dass sie tatsächlich in Zusammenhang mit dem Arzneimittel aufgetreten sind oder der Risikofaktoren, die für ein Auftreten der Reaktion verantwortlich sein könnten.

Der Ausgang dieser Beurteilung kann dazu führen, dass etwa die Produktinformationen um Hinweise ergänzt werden. Die war etwa der Fall beim Impfstoff von Astrazeneca, hier hat die EMA das Risiko einer Hirnvenenthrombose ergänzt, beim Impfstoff von Biontech/Pfizer wurde das Risiko einer Herzmuskelentzündung aufgenommen, beide Nebenwirkungen gelten als extrem selten.

Die Beurteilung kann allerdings auch dazu führen, dass ein Arzneimittel seine Genehmigung verliert. Das PRAC informiert über seine Untersuchungen, etwa in seinen monatlichen Berichten. Jedoch sind die Informationen zur Bewertung der einzelnen Symptome, beim Abrufen der Datenbank nicht ersichtlich.

Trotz zahlreicher Fälle von Missinterpretationen und Desinformationen, ist der EMA ein transparenter Umgang mit den Daten wichtig, schreibt sie auf der Webseite der Datenbank.

Falsche Interpretation trotz zahlreicher Einschränkungen

Was sich aus diesen Daten ablesen lässt und was nicht - das kommuniziert die EMA auf der Website der Datenbank. An mehreren Stellen, etwa in den FAQs, findet sich der Hinweis, dass die gemeldete Nebenwirkung nicht zwangsläufig mit dem jeweiligen Arzneimittel in Zusammenhang stehen muss. Die Meldung erfolgt lediglich, da die Beschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung oder der Einnahme eines Medikaments aufgetreten sind.

In den FAQs zur Datenbank findet sich auch der Hinweis: "Die Informationen auf dieser Website können nicht herangezogen werden, um die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der eine Nebenwirkung auftritt."

Medien wie "Epoch Times" machen mit EMA-Zahlen Stimmung gegen Impfung

Dennoch tut etwa das rechtsalternative Medium "Epoch Times" genau das und schreibt fälschlicherweise, dass etwa 1,6 Prozent der Impfungen tödlich enden und "die Wahrscheinlichkeit, dass eine gemeldete Nebenwirkung tödlich endet, etwa zehnmal größer ist als die Infektionssterblichkeit bei COVID-19". Außerdem seien 50 Prozent der Meldungen "ernst".

Für diese Behauptungen gibt es keine Grundlage in der Eudravigilance-Datenbank. Der aktuelle Sicherheitsbericht des PEI gibt an, dass in Deutschland auf bislang 74.871.502 verabreichte Impfdosen (Stand 30. Juni) 10.578 Meldungen über schwerwiegende Impfreaktionen kommen. Das entspricht rund 0,014 Prozent. Laut dem Bericht sind im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung 1.028 der Verdachtsfälle gestorben. Einen kausalen Zusammenhang bedeutet eine Verdachtsmeldung des PEI wie oben bereits erwähnt, jedoch nicht. Nimmt man sie dennoch für eine Rechnung zur Hand, machen die gemeldeten Verdachtstodesfälle in Relation zur Zahl der mindestens einmal Geimpften (etwa 50,7 Mio., Stand 27. Juli) etwa 0,002 Prozent aus.

Auf 3.758.401 SARS-Cov2-Infizierte kommen in Deutschland laut den Zahlen des Robert Koch-Instituts 91.565 Todesfälle, was rund 2,4 Prozent entspricht (Stand: 27. Juli). Dazu kommt, dass Verdachtsfälle von Symptomen doppelt gemeldet werden können. Ein Verdachtsfall mit Todesfolge kann also im Rahmen mehrerer aufgetretener Symptome gelistet sein und somit doppelt gezählt werden. Das haben bereits Faktenchecks von AFP, Correctiv und Mimikama gezeigt.

Meldung von schweren Nebenwirkungen hat Priorität

Auffällig an den Zahlen der Eudravigilance-Datenbank ist jedoch, dass es zwischen den gemeldeten Verdachtsfällen einzelner Länder auf den ersten Blick große Unterschiede im Hinblick auf die Zahlen gibt, trotz ähnlicher Impfquoten. Die für Deutschland gemeldete Zahl der Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, die sich in der EU-Datenbank findet, unterscheidet sich deutlich von der Zahl, die das Paul-Ehrlich-Institut in seinem aktuellen Sicherheitsbericht ausgibt.

Grund dafür sei ein gewisser zeitlicher Verzug bei der Meldung der Nebenwirkungen, schreibt das PEI auf Anfrage des #Faktenfuchs. "Verdachtsfälle von schwerwiegenden Reaktionen sollen innerhalb von 15 Tagen an die EMA gemeldet / in die EudraVigilance Datenbank eingetragen werden, Verdachtsfälle nicht schwerwiegender Reaktionen innerhalb von 90 Tagen." Daraus ergebe sich "zwangsläufig eine permanente Differenz zwischen den Zahlen in der EudraVigilance Datenbank und den Zahlen, die das Paul-Ehrlich-Institut im Sicherheitsbericht aufführt".

Meldungen von schwerwiegenden Reaktionen werden also vorrangig an Eudravigilance übermittelt. Hintergrund ist laut PEI, dass diese Meldungen unmittelbar relevant für die Bewertung der Impfstoffsicherheit und das Erkennen möglicher Risikosignale seien.

Eudravigilance-Datenbank: transparent, aber benutzerunfreundlich

Obwohl es zahlreiche Hinweise auf der Seite der Eudravigilance-Datenbank gibt, wie die Zahlen interpretiert werden können, bleibt die Auswertung kompliziert und der Erkenntnisgewinn für den Ottonormalbürger überschaubar.

Das sieht auch Sarah Friedrich, Professorin für Medizinstatistik an der Universität Göttingen, so. Sie würde es befürworten, wenn die Daten noch nutzerfreundlicher aufbereitet würden. Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs sagt sie: "Ich finde es ehrlich gesagt sehr unübersichtlich, zum Teil ist gar nicht genau klar, was eigentlich dargestellt wird." Es würden zwar Gruppierungen der Zahlen angegeben, doch auch dort sei manchmal unklar worauf sie sich beziehen. "Da könnte man noch wesentliche Dinge verbessern, auch im Hinblick auf die Visualisierung der Daten." Auch müsse noch transparenter gemacht werden, wie die Daten zustande kämen und was sie genau aussagen. Außerdem müsse sich der Betrachter der Zahlen klarmachen, dass es sich hierbei um reine Beobachtungsdaten handele.

BR24-Datenjournalistin Claudia Kohler bewertet es positiv, dass auf der Startseite unter "Key Information" direkt aufgeführt wird, dass es sich bei den Informationen in der Datenbank um Verdachtsfälle handelt und wie diese zu verstehen - und auch nicht zu verstehen - seien.

Allerdings sieht auch sie Verbesserungsbedarf: "Es sollte besser nachvollziehbar gemacht werden, wie die einzelnen Meldungen zusammengefasst und warum manche Datenelemente für den öffentlichen Zugriff beschränkt werden." Es würden beispielsweise nicht die einzelnen Meldungen vollständig angezeigt, sondern nur deren Zuteilung in bestimmte Cluster. Nach dem "Benutzerhandbuch", in dem etwa der Aufbau des Dashboards und die Datenelemente beschrieben werden, müsse man suchen. Die Datenjournalistin kritisiert außerdem, dass sich der Prüfungsprozess der Meldungen durch die EMA - und mögliche Bewertungen und Folgen daraus - nicht in den Daten wiederfinden.

Fazit

Bei den Zahlen der Eudravigilance-Datenbank der EMA handelt es sich um gemeldete Verdachtsfälle, nicht um bestätigte Impfnebenwirkungen. Sie liefern keine validen Belege für Behauptungen oder Berechnungen von Impfgegnern und impfskeptischen Beiträgen. Berichte über schwerwiegende Nebenwirkungen werden vom Paul-Ehrlich-Institut priorisiert an die EMA gemeldet, der Fokus der EMA liegt auf dem frühzeitigen Erkennen von möglichen Risiken im Zusammenhang mit der Impfung. Über die eingeschränkten Interpretationsmöglichkeiten der Zahlen informiert die EMA ausführlich auf der Website der Datenbank, dennoch könnte die Darstellung und Aufbereitung der Zahlen laut Experten nutzerfreundlicher sein.

Dislcaimer (09.08.2021, 16 Uhr): Wir haben ein indirektes Zitat im vorletzten Absatz um ein Wort ergänzt, um die Aussage präziser zu machen und Missverständnissen vorzubeugen.

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